Die Morandiverschwörung
Pietro Lista – Jost Wischnewski
Die beiden Künstler haben auf den ersten Blick keine Gemeinsamkeiten. Pietro Lista(82) lebt in Kampanien nicht unweit von Neapel, Jost Wischnewski(60) als Düsseldorfer Urgestein mittlerweile in Worpswede nahe bei Bremen. Wie kann sich aber hier um den berühmten Bologneser Flaschenmaler Giorgio Morandi eine Verschwörung ranken, wenn schon die „nature morte“ im Werk Wischnewskis kaum auszumachen ist?
Seine frühen Skulpturen von Rennstrecken in kleinem Maßstab und die immer wieder enstehenden Aufnahmen von Wegmarken, Bremsspuren auf dem Asphalt der alltäglichen Fahrbahn zeugen von einer langwierigen Leidenschaft für vieles, was motorisierte Bewegung verheißt, bedeutet und verspricht. Jost Wischnewski nimmt dabei die Position eines unbeteiligten aber fachmännischen Beobachters ein, nicht unähnlich dem „trainspotting“ auf dem Sektor des Schienenverkehrs. Man kann feststellen, daß Großteile seines Werks die Geschwindigkeit thematisieren ohne dass sie je ansichtig wäre. Der Gummiabrieb auf der Fahrbahn zeugt als Bremsspur zwar von hohem Tempo mit jähem Ende, wie der Verlauf vom Hockenheimring im übersichtlicher Sporthallengröße die Raserei eines Autorennens vorstellbar macht, aber es bleibt bei der Vorstellung, beziehungsweise der Abwesenheit von Geschwindigkeit.
Mittlerweile ist sein Werk sehr stark auf Fotografie fokussiert. Und die bei aller Gebrochenheit doch recht machistischte Thematik von Wetteifer, Rennen und Tempo ist einem erweiterten Spektrum der Darstellung von weitgehend technischem Gelände mit nur geringen Spuren von menschlichen Lebenszeichen gewichen. Als verändertem Genrebegriff im Bezug zum Stillleben könnte man auch von einer neuen Gattung der „culture morte“ sprechen. Wischnewskis Fotografien wären demnach Arrangements einer konstruierten Wirklichkeit, in denen der Mensch nur eine Stellvertreterfunktion einnimmt obwohl er ihr Verursacher ist, also in diesen Aufnahmen weniger die Dinge an sich zur Darstellung kommen, sondern in einem vermittelten Zusammenhang stehen. Das hätte zu einer malerischen und künstlerischen Auffassung wie sie ein Giorgio Morandi vertrat, nur wenig Referenzen aufzuweisen. Verschwörerisch, wer es trotzdem denkt, und in den Wegmarken der italienischen Stadtlandschaft das Sehnsuchtspotential morandianischer Malerei erkennt.
Der kampanische Künstler Pietro Lista knüpft mit seiner jüngsten Werkreihe eine direkte Linie zum großen italienischen Meister der Dinglichkeit und nennt seine Gouachen gleich „Morandiane“. Listas Bilder von italienischen Kaffeemaschinen sind allerdings fragmentiert, stilisiert und zu zeichenhaften Graphemen reduziert und zeugen allerdings von einer weitaus gebrocheneren Wirklichkeitsauffassung als sie noch Morandi zu eigen sein konnte. Dem simplen Realismus kann Lista auch nichts mehr abgewinnen und greift deshalb zu Gestaltungselementen, die den Dingen bei aller Individualität eher nur schmückende Eigenheiten zugesteht.
Listas Bilder von Kaffemaschinen sind weniger geprägt von einer besonders objekthaften Präsenz als vielmehr beseelt von einem speziellen Elixier und geradezu ummantelt von einer Kultur, die um den Kaffee in der Region um den Golf von Neapel betrieben wird. Man muß hier nicht die ganze süditalienische Kaffeekultur beschreiben, um den besonderen Kick dieser Lebensart zu begreifen – es genügt ein nicht ganz fairer Vergleich. Würde man sich beispielsweise einen deutschen Künstler vorstellen, der mit einer gewissen Besessenheit Serien von Bierglasbildern malte, hätte man vielleicht auch etwas von symptomatischer Bildhaftigkeit vor Augen, doch als Motiv wären solcherart Bilder von einer weitaus geringeren kontextuellen Qualität.
Nichts gegen Bier, aber von Bierseligkeit geht doch nur äußerst selten etwas aus, daß man irgendwie auf ein künstlerisches Niveau heben könnte. So bleibt denn wieder das Sehnsuchtspotiential auf der Seite der italienischen Kunst, die allerdings auch nicht mehr so stabil daherkommt wie ein Schlager aus den 60er Jahren. Auch Pietro Lista ist durch das Wechselbad der Postmoderne gewatet, gibt seinen Maschinen Beine, läßt dagegen seine menschlichen Körper in der Malerei oft kopflos und verstärkt instinktgesteuert agieren. So gesehen sind Listas Werke natürlich auch Resultate eines gesellschaftlichen Prozesses, die der Künstler gewissermaßen bildnerisch notiert. Seiner Individualität bleibt da manchmal nur der etwas subversive Umgang mit Alltagsobjekten, die uns hier als hermaphroditische Skulptur heimsucht. Ein Verschwörer, wer Böses dabei denkt.
Martin Bochynek