Zuviel Documenta?

150 Künstler, 12 Architekten, 20 Designer, das ist die achte Documenta in Zahlen. Diesmal glaubte man, ohne Konzept auszukommen. Wir sehen einen Supermarkt, der sich im Durcheinander der Renovierung befindet. Konkurrenz hat er bekommen durch den Feinkostladen in Münster („Skulptur Projekte“) und sogar Hamburgs mondsüchtige Spielzeugbude („Luna Luna“) möchte mit moderner Kunst schritthalten. Brauchen wir überhaupt noch eine Documenta?

Eines gleich vorweg: Die achte Documenta ist ein Spektakel, das eigentlich durch nichts mehr zu rechtfertigen ist. Früher soll sie einmal durch ihr klares Konzept bestochen haben, soll neue, ungewöhnliche und provokante Sichtweisen formuliert haben, die für nachhaltigen Gesprächsstoff sorgten. Heute ist die Documenta zum Großteil ein Tummelplatz für die in Ehren ergrauten Ideen einer künstlerischen Avantgarde der späten (immerhin!) sechziger Jahre.

Im Museum Fridericianum macht sich hinkendes, sozialkritisches Pathos breit, das man in dieser Dimension nicht mehr für möglich gehalten hätte. Der künstlerische Leiter, Manfred Schneckenburger, spricht von einer „neuen historischen und sozialen Dimension der Kunst“ und muß bei der Formulierung wohl an die großen Ausmaße dieses Sozialkitsch gedacht haben. Holocaust, Apokalypse, Kriegsangst und soziale Relevanz sind die Vokabeln, die das Szenario beherrschen.

Hätte man je gedacht, daß die vermeintlich aktuelle Kunst (die auf der Documenta erklärtermaßen ihren Platz haben soll) dermaßen regressive Züge tragen kann und ein Weltbild transportiert, das vor zwanzig Jahren galt? Nun, es hat den Anschein. Wenn Anselm Kiefer eifrig mythologisiert, Robert Morris ein plattes, barockes Pathos zum Thema Apokalypse abliefert, Hans Haacke im Stile eines Messestandes die Machenschaften der Deutschen Bank und Mercedes-Benz in Südafrika anprangert, Klaus Staeck immer noch seinen Postkartenstand aufbauen darf und Joseph Beuys als herber Verlust über Kassel schwebt (dessen letzte Arbeit „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“ als Kopie richtig schön museal aufbereitet wurde), dann muß man sich fragen, wo der zukunftsweisende Aspekt dieser ganzen Veranstaltung verborgen liegt.

Videokunst ist diesmal wieder stark vertreten. Opulente Bildschirmwände von Nam June Paik und Marie Jo Lafontaine sind Blickfang dieser Sparte neben einer magischen Installation von Fabrizio Plessi (in der Orangerie). Doch baut der Koreaner nur einen Epitaph für Beuys und die Belgierin hat mit ihrem monumentalen Werk „Stählerne Tränen“ kräftig hingelangt. Eine suggestive Videoskulptur, die leider schon allzu leichtfertig und billig als Kritik an Bodybuildingund neuem Körperkult interpretiert wurde.

Auffällig ist der Hang zur glatten, gelackten Oberfläche; perfektes Design und identitätslose Materialien in genreübergreifenden Vermengungen bestimmen das Gros der Werke. In beiden Ausstellungshäusern (Fridericianum sowie Orangerie) wuchert die Kunst in endlosen Materialobsessionen, als ob den Künstlern der Blick fürs Wesentliche abhandengekommen wäre. Es liegt wohl an ihrer Neigung, sich gegen vorschnelle Vereinnahmung schützen zu müssen und fixer Reproduktion den Riegel vorzuschieben, daß gleich reihenweise raumgreifende Inszenierungen auch für das Auge kaum noch rekonstruierbar sind.

Malerei kommt diesmal nur als regressives Element vor. Entweder erscheint sie in Form von gegenständlichen Politphrasen von Golub oder Applebroog, dumme Plakate in der Stadt (Levine) oder klassizistischen Tafeln bis barocken Wucherungen (Tansey, Scholte – Komar und Melamid). Nun gut, an Richter konnte auch Schneckenburger nicht vorbei.

das fehlende Konzept der Ausstellungsleitung bietet sicherlich noch so manche Angriffspunkte (Design, Architektur, Skulptur im öffentlichen Raum, Performance sind noch außen vor), doch einen Vorteil hat das Fehlen der klaren Linie schon: Durch das grobe Netz der Inkonsequenz sind auch weniger bekannte Künstler geschlüpft und mit dem Signum „Documenta-Teilnehmer“ versehen worden, von denen man auch in Zukunft noch hören wird.