Zuviel Documenta?

Nimmt man dem Teufel ab, daß er an Gott glaubt? Kann ein international berüchtigter Vorreiter für die Damenunterwäschemode und bekannter Verfechter der Fellatio überzeugend sein, wenn er sagt: „Ich bin wie jeder andere Mensch. Ich brauche Liebe und Wasser…“? Warum passt es, vor 20.000 Menschen aufzutreten und an anderer Stelle seine Nichtteilnahme am Live-Aids-Spektakel mit extremer Menschenscheu zu begründen? Darf der König kegeln und der Prinz zur Revolution gehen? Die wichtigsten Fragen zum letzten Märchenprinzen des Pop beantwortet Martin Bochynek.

Der Haken mit PRINCE ist, daß er in Mitteleuropa nur als Konserve existiert, als Surrogat seiner selbst in Form von Videos, Platten, Filmen, Konzertmitschnitten. Ich kenne keinen, der jemanden wüsste, dessen entfernter Cousin einen reichen Onkel in Amerika hat, der sich kurzfristig die persönliche Nähe zu IHM hätte erkaufen können und jetzt aus erster Hand darüber erzählte. Sowas gibt’s nicht, denn PRINCE ist ein Popstar wie kein Anderer. Seite der „Purple-Rain“-Tournee durch die Staaten gibt er keine Konzerte mehr, über sein Privatleben gibt es kaum Auskünfte, seit 1980, als er mit seinem dritten Album „Dirty Mind“ eine Kritikerumfrage gewann, gibt er keine Interviews mehr – alles was man über ihn wissen kann, steckt in seiner Arbeit. Als private Figur gibt es ihn eigentlich gar nicht, denn jeder öffentliche Auftritt  (man denke nur an seine Audienz kürzlich bei Musikszene `86) ist sofort Spektakel, sofort sein Spiel, sofort POP. Undenkbar, daß man ihn zufällig auf der Straße treffen könnte, sozusagen ertappt bei der Erledigung glanzloser Alltagsbeschäftigungen wie Kaufen neuer Damenslips für die Show, beim Motorradreparieren oder im Second-Hand-Shop beim Bewundern eines „Raspberry Beret“.

Und dennoch, verglichen mit Pseudogrößen, die sich weiß-der-Teufel-was auf den Schulterschluß mit ihren Fans einbilden (mit Grönemeyer könnte ich mir gut vorstellen ’ne Currywurst zu essen, aber was soll’s, wenn er es ansonsten nicht bringt) ist PRINCE absolut glaubwürdig. Er ist nämlich die Inkarnation des Widersprüchlichen, des Gegensatzes schlechthin. Wie kein anderer kehrt er seine inneren Kontroversen nach außen, präsentiert sie wie selbstverständlich auf dem goldenen Tablett seinem Publikum. Deshalb wird „Controversy“, seine vierte LP wohl auch seine beste sein.. In noch nicht so barocker Instrumentierung findet sich alles, was seine Hoheit bis heute beschäftigen: Sex, Sex, the second coming – everything goes; Ronnie, talk to Russia, Sex, Sex, Gott und das romantische Suchen nach einer besseren Welt. Hätte er sie schon gefunden, bräuchte er nicht mehr über „Gun Control“ zu singen. Sämtliche Unbill im Dasein eines Popstars, angefangen bei der bohrenden Attentatsangst bis hin zur Sucht nach Anerkennung, Beifall, wären wie weggeblasen … aber gleichzeitig auch die Grundlage der eigenen Existenz. Wenn wir eine solche Situation hätten wie sie PRINCE in „Controversy“ thematisiert, dann wäre seine Kunst nicht mehr gefragt: „People call me rude/ I wish we all were nude/ I wish there was no black and white/ I wish there were no rules.”

Doch weil der Mensch ein Mensch ist und der Prinz ein König, muß er weiterhin die Rolle des letzten großen Rattenfängers spielen, damit wir unser Vergnügen haben. Er darf auch weiterhin die schönsten aller erdenklichen Parallelwelten entwerfen, die uns als Tanz auf dem Vulkan vor dem jüngsten Tag („1999“), als „afterworld“ („Purple Rain“) oder als „wonderful trip“ through our time“ („Around The World In A Day“) angeboten werden. Das Gescheite an seinen überdrehten Phantasmagorien ist, daß sie mit Realität gespickt sind. Seine besten Songs sind nicht einfach blöde Träumereien. Sie verbinden Unvereinbares, sind Übertreibung, Prahlerei, purer Sex (nie ohne Liebe!), Religion und Realität.

Doch weil der Mensch ein Mensch ist und der Prinz ein König, muß er weiterhin die Rolle des letzten großen Rattenfängers spielen, damit wir unser Vergnügen haben. Er darf auch weiterhin die schönsten aller erdenklichen Parallelwelten entwerfen, die uns als Tanz auf dem Vulkan vor dem jüngsten Tag („1999“), als „afterworld“ („Purple Rain“) oder als „wonderful trip“ through our time“ („Around The World In A Day“) angeboten werden. Das Gescheite an seinen überdrehten Phantasmagorien ist, daß sie mit Realität gespickt sind. Seine besten Songs sind nicht einfach blöde Träumereien. Sie verbinden Unvereinbares, sind Übertreibung, Prahlerei, purer Sex (nie ohne Liebe!), Religion und Realität.

„Let’s Pretend We’re Married“ ist zum Beispiel so ein gottesfürchtiger Porno mit alten Konventionen im neuen Gewand: „Excuse me but I need a mouth like yours/ to help me forget the girl that just walked out my door/ …If you ain’t busy for the next seven years/ let’s pretend we’re married…I believe in God, it’s the only way, because you and I know we’re going to die some day…“ Genauso übertrieben wie wahr ist auch “I Would Die For You” einerseits als Lovesong und andererseits als Statement zum Verhältnis Star – Publikum: “I would die for you/ I’m your messiah and you’re the reason why/ Uh – I would die for you…” Er würde es tun, davon bin ich überzeugt, denn was ist schon dabei zu sagen, wenn es mal so weit wäre: “Ich mach’s für Euch!”  Sollte PRINCE jemals ein gewaltsames Ende finden, wie er es in „Under The Cherrymoon“ thematisiert, dann ist eh alles klar. Kauft man jemanden erst einmal solch harten Stoff ab, dann sind Fragen nach der Authentizität seinerBiographie etwa im Film „Purple Rain“, sexistische Vorwürfe oder Jonglieren mit dem Alter (ist er fünfundzwanzig oder am 7. Juni 1958 geboren!?) eher neckische Spielereien, die im Zusammenhang eine Legende schnitzen helfen und einer Mythisierung Vorschub leisten.

PRINCE glaubt an Gott. Er wird nicht müde, es immer wieder zu betonen: „Ich möchte, daß man weiß, wie ernst es mir mit meinem Glauben ist. Ich bete jeden Abend. Dabei erbitte ich nichts. Ich sage nur: Danke!“ Das ist nichts Neues. King James Brown tut es. Alle Schwarzen tun es. Tradition. Nur wüsste ich gerne, welchen Heiligen sie anbeten, welcher Gottesbegriff ihrem Glauben zugrunde liegt, daß einem PRINCE seine vor Promiskuität und polymorpher Perversionen strotzende Show vergeben wird! Ich kann mir schlecht den Heiligen Vater in Prinzens Rolle als Stellvertreter Gottes auf Erden vorstellen, aber vielleicht trägt er ja eine hautenge Hose aus schwarzer Spitze, wendet sich von seiner Gemeinde ab und fragt: „Is there a man who has an ass like me?“

Natürlich wird es Tausende geben, die einen ähnlich geilen Hintern haben wie PRINCE. Der Unterschied ist nur, daß es kein anderer sagt und sich kein anderer leisten kann in solch unmöglichen Klamotten aufzutreten. Man stelle sich nur vor, ein Klaus Lage würde in einem bauchfreien Leibchen im besten siebziger-Jahre-Proll-Stil versuchen seine neueste Platte zu verkaufen. PRINCE jagt damit seine neue Single „Kiss“ in oberste Charts-Ränge, dreht in seiner neuen Rolle als ‚romantic lover’ mit eben diesem Outfit einen neuen Film, dessen Soundtrack natürlich die neue LP „Parade“ ist. Damit ist wieder alles zusammen und bestens eingerichtet, obwohl seine Hoheit verzweifelter denn je zu sein scheint: „Maybe  I’ll die young/ like heroes die/ maybe I’ll kiss you/ some wild spezial way/ If nobody kills me/ or thrills me soon/ I’ll die in your arms/ under the cherrymoon…“ Doch das ist wahrscheinlich wieder nur eine Variante des Pop Life: „Live it ain’t real funky/ Unless it’s got that pop…“